Zu einem Einsiedler kamen eines Tages Menschen. Sie fragten ihn:
„Welchen Sinn siehst du in einem Leben der Stille?“
Er war gerade mit dem Schöpfen von Wasser aus einer tiefen Zisterne beschäftigt.
„Schaut in die Zisterne, was seht ihr?“ fragte er die Besucher: „Wir sehen nichts.“
Nach einer Weile forderte der Einsiedler sie wieder auf: „Schaut in die Zisterne, was seht ihr?“ Sie blickten hinunter und sagten: „Jetzt sehen wir uns selbst.“
Der Einsiedler sprach: „Als ich vorhin Wasser schöpfte, war das Wasser unruhig, und ihr konntet nichts sehen. Jetzt ist das Wasser ruhig, und ihr erkennt euch selbst. Das ist die Erfahrung der Stille.“
Die Sehnsucht nach Stille ist groß. In einer Zeit in der alle großen Marken oder Soziale Medien wie WhatsApp oder Instagram unsere Aufmerksamkeit binden, in der Teams die Arbeit unterbricht und digitale Hilfsprogramme die Welt vermeintlich erleichtern jedoch auch komplizierter werden lassen, wird der Wunsch nach „Abschalten“ und unser Wunsch nach Ruhe immer größer.
Achtsamkeitsseminare, Yoga und Meditationsschulungen erfreuen sich nach wie vor großer Nachfrage. Doch viele wenden sich nach einigen Sitzungen resigniert ab. Die Ent-täuschung ist groß, wenn der Lärm mit dem Schließen der Augen eher größer als weniger wird. Doch worin besteht die Täuschung?
Stille ist nicht die Abwesenheit von Lärm. Wer sich dem eigenen Körper zuwendet, in die Wahrnehmung und in die Ruhe geht, muss damit rechnen, dass bisher Unbeachtetes sich lautstark Gehör verschafft, ganz nach dem Motto. „Oh wie schön, du wendest dich endlich einmal mir zu, diesem Körper, diesen Sorgen, diesen Ängsten. Und dann werden die Körperempfindungen plötzlich heftig, zeigt sich die Palette unserer Sorgen, drängen bisher unbeachtete Ängste ins Bewusstsein. Wie gut hat die Ablenkung, all unsere Arbeit, all unser „Gebraucht-Werden“ uns bisher davon abgehalten, tief in uns hinein zu lauschen und Bedürfnisse wahrzunehmen.
Ein großes Bedürfnis, das sich gleich am Anfang der Praxis zeigt, ist das Schlafbedürfnis. In der Entspannung schlafen wir sofort ein, auf dem Meditationskissen sitzend, sinkt der Kopf nach vorne. Wir sind müde, wir sind erschöpft. Es zeigen sich vielleicht auch verstärkt Anspannungen oder Taubheitsgefühle. All das sind Hinweise, denen wir uns widmen sollten. Nicht umsonst stehen im Yoga lange vor der Meditation Körperübungen, die Asanas im Mittelpunkt, gefolgt von diversen Entspannungsübungen.
Die laute „Stille“ in uns ist eine Lehrmeisterin. Und unsere Aufgabe ist es zuzuhören. Was kein Abschalten bedeutet, sondern eine erhöhte Achtsamkeit, eine bewusste Wahrnehmung. Das sollten wir wissen, wenn wir die „Stille“ durch Achtsamkeits- oder Yogapraktiken suchen. Und vielleicht zeigt sich uns in unserem steten Lauschen und Hinschauen – gleichsam als Gnade – das wirklich Wesentliche.